Zeitweilig

Artikel / Bericht in der Fachzeitschrift Florist Ausgabe 11 | 2019

ZEITWEILIG

Das Geschäftsmodell der Kirsten Wellig

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Florist ist die einzige Schweizer Fachzeitschrift für Floristik mit Tipps, Trends und topaktuellen Themen... Ausgabe Nr. 11 | 2019

Kirsten Wellig zieht von Hotel zu Hotel. Mit ihrem Geschäftsmodell füllt sie mit viel Organisationsgeschick und möglichst dauerhaften Blumenkunstwerken eine Nische.

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TEXT UND BILDER Erika Jüsi

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Sie ist single, hat noch keine Kinder und Lust auf einen Tapetenwechsel. Zudem reizen sie grosse Dimensionen in der Floristik. Da kommt die Stelle in einer Eventfirma in Las Vegas wie gerufen. Kirsten Wellig bucht den Flug, kündigt ihre Wohnung in Hannover und packt die Koffer. Die vier Monate bis zur Abreise will die Meisterfloristin mit einer Saisonstelle in St. Moritz überbrücken. Dort, rund 800 Kilometer südlich, hoch oben in den Schweizer Bergen, wird sie von ihren neuen WG-Genossinnen und Arbeitskolleginnen herzlich aufgenommen und nicht viel später bietet sich ihr die Chance einer Festanstellung – keine Selbstverständlichkeit im touristischen Oberengadin. Sie spürt, dass sie noch nicht bereit ist weiterzuziehen. Las Vegas muss warten.

13 Jahre später sitzen wir in der lichtdurchfluteten Lobby des Hotels Walther in Pontresina. Die floristischen Werke von Kirsten Wellig fügen sich in das stilvolle Interieur ein, ergänzen das Bild und stehen doch für sich. Eine Kunst, die die 48-Jährige hervorragend beherrscht. Das 110-jährige Traditionshaus zählt nun seit zwei Jahren zu ihren Kunden. Aber immer schön der Reihe nach.

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Wo schaut der Gast hin? Genau dort platziert Kirsten Wellig ihre Werkstücke. Im Treppenhaus des Sporthotels tragen filigrane Werkstücke ihre Handschrift.

Der Aufenthaltsbereich des Hotel Walther erstrahlt nach seinem Umbau in neuem Licht - dank der ursprünglichen Architektur im Jugendstil und den passenden Werkstücken der Meisterfloristin.

Sie hat den Überblick

Die Liebe zu einem Samadener liess die Norddeutsche endgültig im Oberengadin Wurzeln schlagen; ihr Sohn ist heute neun Jahre alt. Nach der Babypause versuchte sie, in die Hotelfloristik einzusteigen, ein lang gehegter Wunsch von ihr. So einfach war es aber nicht. Teilzeitstellen gab es keine, da die Fünf-Sterne-Hotels Vollzeitfloristen suchten, und die Drei- und Vier-Sterne-Häuser niemanden für die Blumen anstellten. Also gründete sie 2016 «Blumenkunstwerke» und begann zu experimentieren. Das kam gut an. Die Familie Schraemli, die im Oberengadin drei Hotels, zwei Restaurants und den Camping Gravatscha betreibt, wurde zuerst auf Kirsten Wellig aufmerksam. Was mit einem klassischen Schnittblumen-Abo begann, konnte sie in eine umfangreiche Betreuung ausbauen. Heute kümmert sie sich um die zahlreichen saisonalen Dekorationen, die Pflanzungen bei den Haupteingängen und schmückt die Tische bei kleineren Festlichkeiten. «Es war enorm viel Aufwand zu Beginn», erinnert sie sich, «das bereits vorhandene Material war an allen Standorten verstreut.» Alles Dekomaterial zusammenzutragen und sich so einen Überblick zu verschaffen, sei wichtig, um den vielen verschiedenen Häusern mit den unterschiedlichen Vorlieben gerecht zu werden. Organisieren und optimieren, das sind ihre Stärken. «Diese Phase dauert schon mal ein paar Wochen oder Monate.» Die Boxen, fein säuberlich beschriftet, stapeln sich dann im eigens für sie reservierten Arbeitsraum, den ihr unterdessen alle grösseren Kunden zur Verfügung stellen. Oft liegt neues Material nicht drin. Dann verändert sie das vorhandene, kombiniert es immer wieder neu und platziert es um.

«Organisation ist alles»

Kirsten Wellig

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Auch das Drei-Sterne-Superior Sporthotel in Pontresina kam auf die Störfloristin zu. Dessen moderne Räume schmückt sie reduziert, aber effektvoll. Sie mischt gern Seidenblumen und Trockenmaterial mit frischen Blumen. «Ich liebe Überschneidungen, das Unkonventionelle, das Wilde», sagt sie über ihren Stil. Es liegt ihr aber auch, sich den Gegebenheiten anzupassen – dem dunkel gestrichenen Fumoir genauso wie der Skihütte mit den weiss-roten Vorhängen. «Auf die Kombination kommt es an», erklärt sie, «und das Gesamtbild muss stimmen. Ich frage mich, wo sieht der Gast hin, wo geht er lang? Und genau dort platziere ich meine Werkstücke.»

Kirsten Wellig in einem ihrer Arbeitsräume vor Ort.

Da sie nicht immer vor Ort sein kann, müssen die Dekorationen einige Zeit ohne sie halten. Das Personal wird von ihr entsprechend instruiert. «Am Anfang haben sie jeweils in Eigenregie noch etwas dazugestellt oder ein Band um etwas gemacht», sagt sie und lacht. Unterdessen werden die Mitarbeitenden dazu angehalten, alles genau zu belassen. Ihre Anordnungen werden sogar fotografiert, um sie nach dem Abstauben – oder im Folgejahr – wieder nachstellen zu können. «Im Insta-Zeitalter werden die Dekorationen immer wichtiger, auch für die kleineren Hotels», bemerkt sie. Abgesehen von den Budgetbesprechungen nach Saisonende vertrauen ihr die Hoteliers und lassen ihr vorwiegend freie Hand; immer öfters auch ums Haus herum. Sie liebt es, im Frühling gemeinsam mit dem Gärtner die Blumen zu planen und beim Pflanzen mitzuhelfen, «so richtig mit den Händen in der Erde» – so sehr, dass sie am liebsten noch eine Gärtnerlehre anhängen würde.

«Im Instagram-Zeitalter wird die Hoteldekoration immer wichtiger»

Kirsten Wellig

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In der Zwischensaison, wenn die Hotels geschlossen sind, die Möbel unter Leinentüchern ruhen, wenn gehämmert und gebohrt wird, anstatt geflüstert, gibt sie Vollgas, dann arbeitet sie Vollzeit. «Es ist schon verrückt, du arbeitest drei Wochen an einer Deko, die nach nur zweieinhalb Wochen wieder verschwindet.» Sie spricht natürlich von Weihnachten! Kurz vor Saisonbeginn, wenn alles überall gleichzeitig stehen muss, geht's drunter und drüber. Dann sind sie zeitweise zu dritt. Zwei Vormittage hilft ihr das ganze Jahr über eine Floristin.

Die Dekorationen im Speisesaal des Hotels Walther werden von den Mitarbeitenden fotografiert, damit alles immer genau so steht, wie die Floristin es will.

Wenn sich dann die Häuser wieder füllen, gilt auch für Kirsten Wellig das ungeschriebene Gesetz aller Hotelangestellten: gesehen, aber nicht gehört werden. Für die Floristin beginnt dann aber die ruhigere Zeit. Wenn einmal alles am Ort ist und es nur noch darum geht, die Frischblumen von Zeit zu Zeit auszuwechseln, reduziert sich ihr Pensum auf drei bis vier Tage die Woche und es liegen auch mal Ferien drin. Oder es bleibt mehr Zeit für die eigenen Aufträge: Hochzeiten und Galas und die kleineren Firmen, die sie von ihrem Atelier in Samaden aus betreut.

Reduziert, modern und effektiv, die Floristik im Sporthotel mitten in Pontresina.

Jeder kennt jeden

Klaviergeklimper, gedämpfte Stimmen, lautlos vorbeihuschendes Personal – das nachmittägliche Kuchenbuffet im Hotel Walther ist eröffnet. Seine Direktorin Anne-Rose Walther, hatte die Visitenkarte von «Blumenkunstwerke» beim Coiffeur eingesteckt, und als die Aufenthaltsbereiche vor zwei Jahren komplett renoviert wurden, beauftragte sie Kirsten Wellig mit der Floristik für die Eröffnung. «Ich machte das Konzept und die ganzen Vorbereitungen anhand von Plänen und Beschreibungen, ohne die fertigen Räume gesehen zu haben. Bis am letzten Tag wusste ich nicht, ob ich richtig kalkuliert hatte.» Sie hatte. Die Kreationen entsprachen dem mutigen, wieder im ursprünglichen Jugendstil gehaltenen Look des Grand Hotels. Seither dekoriert sie das ganze Haus einschliesslich Zimmer und Etagen sowie sein urchiges Pendant, das Hotel Steinbock nebenan. «Hier oben kennt jeder jeden. Das mag vielleicht nicht jedem behagen, es hat aber durchaus Vorteile», meint Kirsten Wellig. Denn dadurch hat sich ihr Service herumgesprochen und das hat ihr kleines Unternehmen zum Blühen gebracht. Unterdessen klopfen auch die Fünf-Sterne-Häuser an, wenn ihnen vorübergehend zwei Hände fehlen.

Und Amerika? «Weit weg. Ich liebe den Winter über alles, da wäre ich in Las Vegas sowieso total falsch!»

Im rustikalen Hotel Steinbock ist ein natürlicher Stil gefragt. Kisten Wellig «Jedes Haus hat seine Eigenheiten und Vorlieben. Ich versuche, diese zu bedienen und mir trotzdem treu zu bleiben.»

Das Furnier im Hotel Walther bietet mit seinen satten Farben die perfekte Kulisse für die eigenwilligen Kreationen von «Blumenkunstwerke» .

- MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DER FACHZEITSCHRIFT FLORIST -

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Foto-Shooting "Hochzeitsfloristik"

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