Zeitweilig
Kirsten Wellig zieht von Hotel zu Hotel. Mit ihrem Geschäftsmodell füllt sie mit viel Organisationsgeschick und möglichst dauerhaften Blumenkunstwerken eine Nische.
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TEXT UND BILDER Erika Jüsi
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Sie ist single, hat noch keine Kinder und Lust auf einen Tapetenwechsel. Zudem reizen sie grosse Dimensionen in der Floristik. Da kommt die Stelle in einer Eventfirma in Las Vegas wie gerufen. Kirsten Wellig bucht den Flug, kündigt ihre Wohnung in Hannover und packt die Koffer. Die vier Monate bis zur Abreise will die Meisterfloristin mit einer Saisonstelle in St. Moritz überbrücken. Dort, rund 800 Kilometer südlich, hoch oben in den Schweizer Bergen, wird sie von ihren neuen WG-Genossinnen und Arbeitskolleginnen herzlich aufgenommen und nicht viel später bietet sich ihr die Chance einer Festanstellung – keine Selbstverständlichkeit im touristischen Oberengadin. Sie spürt, dass sie noch nicht bereit ist weiterzuziehen. Las Vegas muss warten.
13 Jahre später sitzen wir in der lichtdurchfluteten Lobby des Hotels Walther in Pontresina. Die floristischen Werke von Kirsten Wellig fügen sich in das stilvolle Interieur ein, ergänzen das Bild und stehen doch für sich. Eine Kunst, die die 48-Jährige hervorragend beherrscht. Das 110-jährige Traditionshaus zählt nun seit zwei Jahren zu ihren Kunden. Aber immer schön der Reihe nach.
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Auch das Drei-Sterne-Superior Sporthotel in Pontresina kam auf die Störfloristin zu. Dessen moderne Räume schmückt sie reduziert, aber effektvoll. Sie mischt gern Seidenblumen und Trockenmaterial mit frischen Blumen. «Ich liebe Überschneidungen, das Unkonventionelle, das Wilde», sagt sie über ihren Stil. Es liegt ihr aber auch, sich den Gegebenheiten anzupassen – dem dunkel gestrichenen Fumoir genauso wie der Skihütte mit den weiss-roten Vorhängen. «Auf die Kombination kommt es an», erklärt sie, «und das Gesamtbild muss stimmen. Ich frage mich, wo sieht der Gast hin, wo geht er lang? Und genau dort platziere ich meine Werkstücke.»
In der Zwischensaison, wenn die Hotels geschlossen sind, die Möbel unter Leinentüchern ruhen, wenn gehämmert und gebohrt wird, anstatt geflüstert, gibt sie Vollgas, dann arbeitet sie Vollzeit. «Es ist schon verrückt, du arbeitest drei Wochen an einer Deko, die nach nur zweieinhalb Wochen wieder verschwindet.» Sie spricht natürlich von Weihnachten! Kurz vor Saisonbeginn, wenn alles überall gleichzeitig stehen muss, geht's drunter und drüber. Dann sind sie zeitweise zu dritt. Zwei Vormittage hilft ihr das ganze Jahr über eine Floristin.
Wenn sich dann die Häuser wieder füllen, gilt auch für Kirsten Wellig das ungeschriebene Gesetz aller Hotelangestellten: gesehen, aber nicht gehört werden. Für die Floristin beginnt dann aber die ruhigere Zeit. Wenn einmal alles am Ort ist und es nur noch darum geht, die Frischblumen von Zeit zu Zeit auszuwechseln, reduziert sich ihr Pensum auf drei bis vier Tage die Woche und es liegen auch mal Ferien drin. Oder es bleibt mehr Zeit für die eigenen Aufträge: Hochzeiten und Galas und die kleineren Firmen, die sie von ihrem Atelier in Samaden aus betreut.